Pressefreiheit: Wofür stehen wir?
Die Freiheit der Medien ist bedroht. Auch von einer Seite, von der man es nicht erwartet hätte.
Ein Kommentar von Giovanni di Lorenzo auf zeit.de vom 24. Februar 2021 / Auszug:
Es ist möglicherweise nur Insidern bekannt, unter welchen Bedrohungen seit einiger Zeit auch in Redaktionen gearbeitet wird, deren investigative Reporter und Reporterinnen nicht wie auf Malta oder in Russland um ihr Leben bangen müssen. Redaktionen sind glücklicherweise diverser geworden, was einigen Lesern jedoch ein Dorn im Auge ist. Kollegen, bei denen man schon dem Namen nach einen Migrationshintergrund vermuten kann, oder Autorinnen, die sich eines Themas wie Gendergerechtigkeit annehmen, sind – auch bei der ZEIT – immer wieder übelsten rassistischen und misogynen Anfeindungen ausgesetzt, insbesondere auf Twitter.
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Das Problem sind Auswüchse, die sich mit dem Reizwort Identitätspolitik verbinden und in Amerika zum Beispiel so aussehen: Eine weiße Food-Kolumnistin der New York Times (NYT) gerät in einen furchtbaren Shitstorm, weil sie als Weiße zwei Frauen mit asiatischen Wurzeln kritisiert hatte. Sie musste einen mitleiderregenden Kotau leisten, was ihr aber nichts nutzte. Ihre Kolumne wurde abgesetzt, sie kündigte.
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Bei diesem Kulturkampf geht es um Fragen, die das Selbstverständnis aller freien Medien berühren: ob im Prinzip schützenswerte Minderheiten auch Mehrheiten majorisieren dürfen, ob Haltung zur Gesinnung erstarren kann, wann die Tugend der journalistischen Einordnung in Belehrung und Missionierung umschlägt. Und nicht zuletzt geht es darum, ob man Menschen nicht auch einen Fehler verzeihen kann.
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Der Philosoph Jürgen Habermas forderte einst, dass Massenmedien „ähnlich wie die Justiz ihre Unabhängigkeit von politischen und gesellschaftlichen Aktoren bewahren“ sollen. Es ist ein Missverständnis, zu glauben, diese Medien degenerierten dann zu beliebigen Plattformen. Auch und gerade in der Mitte ist Platz für abweichende Meinungen, für leidenschaftliche Plädoyers und im Ausnahmefall auch für eine erklärte politische Kampagne, wenn sonst ein vernünftiges Anliegen unterzugehen droht. Aber sie sollte dabei auf Vielstimmigkeit, Toleranz und die Kraft der Argumente bauen, nicht auf die Diffamierung von Andersdenkenden oder auf (durch Angst vor Shitstorms entstehenden) Konformitätsdruck.
Den vollständigen Kommentar finden Sie hier:
https://www.zeit.de/2021/09/pressefreiheit-journalismus-gesellschaft-spaltung-politik