Kein „Ich“, kein „Wir“ – das arme Ego
Der Journalist leiht dem Leser seine Augen, seine Aufmerksamkeit, seine Betrachtungsweise und – in Maßen – seine Gefühle.
Ob er bei 35 Grad schwitzt, ob sein Kugelschreiber wegen der Kälte versagt, ob er angesichts des Themas – etwa Kinder auf der Krebsstation – lieber das Weite suchen würde, spielt keine Rolle.
Der Journalist ist Beobachter, ihm ist ein Thema überantwortet worden, egal, ob es ihm behagt oder nicht.
Er ist Profi und drängt Unbehagen, Unwillen oder auch seine Sympathie für ein Thema oder eine Person zurück. Weder seine Vertrautheit mit Thema/Person noch sein Widerwille zählen, sondern der Auftrag, seinen Leser gründlich zu informieren. Er beschreibt die Lage.
Die Maßgabe des Journalisten ist simpel: Der Leser weiß nichts, ist bestenfalls interessiert. Das Feld gehört dem Journalisten; Sorgfalt und Gewissenhaftigkeit bei der Berichterstattung, nicht Euphorie oder Abneigung sind geboten. Die Maßgabe lautet: Den Leser am Strick durch den Text zu ziehen, Eingeweihte wie Uneingeweihte zu fesseln mit einem klugen Text.
Was anfangs schwer ist, wird mit der Zeit zur schreiberischen Leichtigkeit – fernab vom „Ego“. Wir sind Diener unseres Themas. Wir tauchen nicht auf. Wir schreiben.
PS: Wie immer, gibt es auch in diesem Falle Ausnahmen. Wenn Altkanzler Helmut Schmidt über eine Reise ins Ost-Berlin der 1970er-Jahre schreibt, ist sein „Ich“ gefragt; er ist eine Person der Zeitgeschichte. Wir Journalisten sind es in den wenigsten Fällen.
Ihre
Martina Dreisbach